Elif Duygu und Elias Hirschl waren die Gäste von Slammer.Dichter.Weiter. 2.8 am Donnerstag, den 4. Februar 2021. Sie haben die Situation, ohne Publikum auftreten zu müssen, bravourös gemeistert. Im Live-Stream wurde fleißig kommentiert – Danke Slamily – es tat trotz allem gut, wieder mal Slam-Texte zu hören und es tat auch gut, zu erleben, was Elif und Elias aus ihrer Aufgabe gemacht haben.
„My poetry tells me things I don’t know.“ R.W.
Elif studiert Englisch, Ruth Weiss kam ihr da sehr gelegen. Ruth Weiss wurde 1928 in Berlin geboren. Ihr Vater war Wiener, 1933-1938 lebte sie in Wien, im 9. Bezirk, musste dann flüchten, es gelang ihr über Holland in die USA zu gelangen. Von New York ging es weiter nach Chikago. Dort trat sie in den 1950er Jahren mit Jazzern auf und prägt die Stilrichtung Jazz-Poetry. Sie war eine Beat-Poetin, eine Vorläuferin, eine Wegbegründerin für das, was wir heute unter Spoken-Word-Poetry verstehen. Sie suchte Wien erst 1998 wieder auf, dann aber regelmäßig, unterrichtete u. a. an der Schule für Dichtung, trat auch in hohem Alter noch mit Musikerinnen und Musikern auf. „Ich bin zu beschäftigt, um alt zu werden“, sagte sie mit 79, verstorben ist sie im letzen Sommer in Kalifornien (2020). Elif wählte ein Gedicht, das Weiss mit 85 schrieb, um darauf mit „Me at 22 in 2021“ zu antworten und gleichzeitig die Frage zu stellen, wie es jetzt weiter gehen soll in ihrem Leben und generell.
Elif ließ sich auch bei ihrem letzten Text des Abends von Lyrik inspirieren und zwar vom Gedicht „Istanbul Dinliyorum“ (Ich höre Istanbul zu) von Orhan Veli. Elif beginnt ebenfalls in Istanbul, um dann ganz in Wien anzukommen und Wien gehörig abzuhorchen. Womit wir beim Sound einer Stadt angelangt wären. „I had to learn englisch by sound“, sagte Ruth Weiss und: „If I work with music I use my voice like an instrument.“
„Die Blase ist ein Instrument des Herrn!“, ist ein Zitat von Ernst Herbeck (1920-1991). Den hat Elias Hirschl gewählt, da er schon im Museum in Gugging war, aber sich noch nie mit den Gugginger Autoren beschäftigt hatte. Ernst Herbeck hat 45 Jahre in der Landesnervenheilanstalt Gugging verbracht und sein Arzt Leo Navratil hat das Haus der Künstler gegründet und u.a. Ernst Herbeck zum Schreiben angeregt, einen Dichter auf Zuruf aus ihm gemacht. Das lief so ab. Navratil gab den Titel vor und Herbeck schrieb. Er nannte sich Alexander und legte Wert auf Kürze sowie einen guten Anfang und Schluss.
„Meine Eigenart! / Ist in Buchform und eigentlich / kann ich mich gar nicht erinnern!“, schreibt er. Tänzeln und gewunden schreibe er, schrieb W.G. Sebald über Herbeck. Verhatscht und gleichzeitig manieriert kann man auch sagen. Jedenfalls aber öffnen sich immer wieder große Poesieräume, klappen die Texte auf ins Ungreifbare. Das ist schön und komisch. Clemens J. Setzt würdigt Herbeck in „Die Bienen und das Unsichtbare“ und hebt hervor, dass dessen Texte oftmals an Texterkennungsfehler von Software erinnern. Demgemäß findet Elias Hirschl seinen Zugang zum Weiterschreiben von Herbecks Arbeiten im Internet. Es entstehen Suchanfrag-Collagen und schließlich auch eine eigenartige Utopie, ein Raum, in dem die Sprachgesetze neu geschrieben wurden. Was halten Sie von Dichtung? „Sie ist nur vorübergehend beim Menschen.“, wusste Herbeck schon seinerzeit.
Ein toller Abend. Der neugierig auf Ruth Weiss und Ernst Herbeck machte. Der Lust auf Slam Poetry und Publikum im Allgemeinen machte und an dem uns Elif Duygu und Elias Hirschl zeigten, wie bunt Spoken-Word und Slam-Poetry gegenwärtig ist. sdw-Host Markus Köhle ist sehr zufrieden.